Digitale Bildung: Alter Wein in neuen Schläuchen? Zeitgemäße digitale Bildung muss deutlich mehr bedeuten, als nur die neuen Möglichkeiten über traditionelle Konzepte zu „stülpen“. Das Potenzial digitaler Medien entfaltet sich weniger in der Reproduktion von Wissen, sondern vielmehr in der Förderung von Kompetenzen wie Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritischem Denken. 1. Kompetenzorientierung statt Reproduktion Die Digitalisierung des Unterrichts wird derzeit oft nur dafür eingesetzt, um bestehende Unterrichtsabläufe und Materialien durch digitale Möglichkeiten zu erweitern oder zu ersetzen. Ein Beispiel hierfür ist die Transformation des analogen Mathematikübungsheftes hin zu einer digitalen Lernplattform (Abb. 1): Das Prinzip zur Lösung einer Aufgabe wird dabei so lange vorgemacht, bis der Schüler es nachmachen kann. Vor hundert Jahren geschah dies durch den Lehrer an der Kreidetafel, heute, im digitalen Zeitalter, über adaptive Lernsysteme oder über Erklärvideos. Auf YouTube stehen zahlreiche Filme zur Verfügung, bei denen engagierte Lehrerinnen und Lehrer z. B. am Whiteboard frontal das Lösungsprinzip einer Mathematikaufgabe nach der anderen erklären. Methodisch verknüpft werden solch traditionelle Lehrformen dann auch noch mit Konzepten wie „Flipped-Classroom“. Egal ob analog oder digital: Die wesentliche Methode bleibt das stumpfe Üben. Zahlreiche prozessbezogene Kompetenzen und das Verständnis bleiben auf der Strecke. Mit solch traditionellen Zugängen kann das Potenzial von digitalen Medien im Unterricht nicht ausgeschöpft werden. Statt zur Reproduktion von Wissen sollten digitale Medien im MINT-Unterricht vor allem zur Förderung und zur Stärkung von Kompetenzen wie Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritischem Denken (4K) eingesetzt werden (Abb. 2). Hierzu ist eine Verknüpfung von mobilen Endgeräten mit individuellen, forschenden, kreativen und projektartigen Arbeitsaufträgen ein gangbarer Weg. Durch eine offen formulierte und digital angereicherte Aufgabenstellung können in heterogenen Lerngruppen sowohl leistungsschwache als auch leistungsstarke Lernende entsprechend ihrem Vorwissen und ihrem Leistungsvermögen gefördert werden. Schülerinnen und Schüler erleben dabei einen hohen Grad an Handlungsorientierung, Kreativität und Selbstbestimmung. Die Verbindung von digitalen Medien mit offenen, kreativen und forschenden Aufgaben leistet somit einen wichtigen Beitrag zur Individualisierung, Selbstdifferenzierung und fördert zahlreiche prozessbezogene Kompetenzen. Abb. 1: Einsatz einer adaptiven Lernplattform im Fach Mathematik 2. Kompetenzorientierte Beispiele aus dem MINT-Unterricht Eine kompetenzorientierte digitale Aufgabenstellung muss zeitlich flexibel in den Unterricht integrierbar sein. Im Folgenden werden Beispiele aus dem Mathematik- und Physikunterricht des Autors im zeitlichen Umfang von einer Schulstunde (Kapitel 2.1 und 2.2), über mehrere Stunden (Kapitel 2.3) bis hin zu mehreren Wochen (Kapitel 2.4) erläutert. Die zugrundeliegenden Überlegungen können auch im Unterricht anderer Fächer Anwendung finden. 18 bildung+ schule digital 1| 2020 © Fotos: Dr. Patrick Bronner
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