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 Zukünfte der Digitalisierung als Unterrichtsthema Lern-Werkzeugkasten mit Denksportaufgaben hilft, Probleme kreativ zu lösen Wie sehen Schüler:innen unsere digitale Gesellschaft in 20 Jahren? Was ist ihnen dabei wichtig und was übersehen sie vielleicht? Welche Visionen haben sie für eine gerechte und nachhaltige Digitalisierung? Ein auf die Entwicklung dieser Zukunftskompetenzen (Futures Literacy) ausgerichteter Lern-Werkzeugkasten hilft Lehrenden, diese Fragen mit Gedankenspielen im Unterricht zu diskutieren. V on Smartphone-Apps, über Online­ shopping bis hin zum Schutz der eige- nen Daten im Internet: Die Digitalisierung sorgt für eine rasante Transformation unse- rer Gesellschaft. Soziale Netzwerke wie In- stagram und TikTok beeinflussen, wie wir miteinander kommunizieren und uns eine politische Meinung bilden. Neue technolo- gische Innovationen wie Künstliche Intelli- genz verändern die Wirtschaft grundlegend und prägen die Art und Weise, wie wir künf- tig miteinander leben und arbeiten werden. Hier den Überblick zu behalten fällt nicht im- mer leicht. Aus diesem Grund unterstützt der Lern-Werkzeugkasten „Making Sense of the Future“ Lehrende, eine kreative Beschäf- tigung mit der digitalen Gesellschaft im Un- terricht anzuregen. „Die Zukunft ist ein Verb, kein Substantiv“ Mit Methoden der Zukunftsforschung trai- nieren die Schüler:innen ihre Zukunftskom- petenz in verschiedenen Übungseinheiten. Zukunftskompetenz meint hier nicht den Umgang mit Technologien durch Unterricht mit Tablets und interaktiven Whiteboards. Vielmehr ist sie eine Fähigkeit, die genau wie Lesen und Schreiben erlernt und geübt werden muss. Sie hilft Menschen, sich viel- fältige Zukunftsszenarien vorzustellen und diese als Linse zu nutzen, um die eigene Ge- genwart aus ganz neuen Perspektiven zu be- trachten. Schüler:innen lernen so, die unübersichtliche digitale Welt zu ordnen, motiviert umzuden- ken und das Paradigma der Ungewissheit anzugehen. Dabei sprechen wir bewusst von Zukünften im Plural, da zahlreiche wün- schenswerte Zukünfte denkbar sind. Die Übungen des Lern-Werkzeugkastens adres- sieren unter anderem folgende Fragen: ▶ Wie wollen wir in einer digitalen Welt zu- sammenleben? ▶ Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf mich selbst? ▶ Welche Rolle spielen Gleichberechtigung, Nachhaltigkeit oder Gemeinwohl in der di- gitalen Welt? ▶ Was müssen wir in unserem Leben än- dern, um bestimmte Zukünfte zu vermei- den? ▶ Welche effektiven Lösungswege, neuen Ideen und gesellschaftlichen Werte brau- chen wir, um gemeinsam eine bessere Zukunft zu gestalten? i Übungen herunterladen Alle Übungen des Lern-Werkzeugkastens „Making Sense of the Future“ stehen als Open Educational Resource (OER) kos- tenfrei unter www.hiig.de/zukunft-oer zur Verfügung. Für Schüler:innen ab der Se- kundarstufe II empfiehlt es sich, mit den Einstiegsübungen „Antworten im Raum“, „3 Ebenen des Wandels“ und „Nachrich- ten aus 2040“ zu arbeiten. Beide dauern jeweils 30 bis 60 Minuten und benötigen außer den Ausdrucken kein zusätzliches Material. Aktiver Austausch im Unterricht Die kostenlosen und online frei verfügba- ren Materialien des Lern-Werkzeugkastens wurden vom Alexander von Humboldt In- stitut für Internet und Gesellschaft in Zu- sammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung entwickelt. Die sechs ver- schiedenen Übungen mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden beinhalten strukturier- te Aufgaben mit Zielformulierungen, inhalt- lich angeleitete Gruppendiskussionen und lebhafte Illustrationen. Je nach Aufgabe können die Übungen al- lein oder in Gruppen mit Stift, Papier und Internetzugang durchgeführt werden. Als Hil- festellung für Lehrende halten die ausdruck- baren Übungskarten zugängliche Leitfragen und Beispiele parat, die auch ohne Vorwis- sen eine Bearbeitung in 30 bis 60 Minuten ermöglichen. Dabei können die Aufgaben abhängig von Fach, Kontext und Alter modi- fiziert und weiterentwickelt werden, um sie auf Ihre Bedarfe und Motivation anzupassen. Beispiel: Zeig deinen Standpunkt zur digitalen Zukunft Eine geeignete Übung für den Unterricht heißt „Antworten im Raum“. Hier versetzen sich die Schüler:innen in das Jahr 2040 und finden heraus, ob sie eine optimistische oder pessimistische Einstellung gegenüber digita- len Zukünften haben. Zunächst überlegt sich jede Person einen bestimmten Aspekt unserer Gesellschaft, der sich ihrer Meinung nach durch die Di- 24 bildung SPEZIAL 1| 2023

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UNTERRICHT © HIIG © HIIG gitalisierung zukünftig verbessern oder verschlechtern wird. Das kann ein brei- ter gesellschaftlicher Sektor (zum Beispiel der Klimawandel, die Arbeitswelt und de- mokratische Prozesse) oder auch eine be- stimmte Technologie sein (zum Beispiel Social-Media-Apps, Onlineunterricht und Vir- tual Reality). Danach positionieren sich alle in angeleiteten Phasen auf einer vierteiligen Achse im Klassenzimmer. Zu Beginn der Übung verteilen sich alle Be- teiligten ihrer Meinung entsprechend anhand zweier entgegengesetzter Pole im Raum. Sie stehen für: „Die Digitalisierung macht die Welt besser“ und „Die Digitalisierung macht die Welt schlechter.“ Positioniert man sich beispielsweise zum Thema Demokratie, ist eine optimistische Sicht durch Onlinebewe- gungen wie Fridays for Future, aber auch ei- ne pessimistische Sicht durch Probleme wie Fake News denkbar. Im zweiten Schritt bewegen sich die Schüler:innen erneut auf einer anderen Ach- se, um ihre eigene Handlungsfähigkeit in der digitalen Welt einzuschätzen. Im Zentrum steht die Frage, ob die Digitalisierung ihnen persönlich die Möglichkeit gibt, gesellschaft- liche Prozesse auf der Welt zu beeinflussen, oder ob ihre Handlungsmöglichkeiten durch sie beschränkt werden. Nach diesen dynamischen Stimmungs­ barometern geht es darum, in den gemeinsa- men Austausch zu treten. Die Schüler:innen finden gegenseitig heraus, über welche As- pekte der Digitalisierung die anderen nach- gedacht haben. Zudem erklären sie sich gegenseitig, aus welchen Gründen sie sich jeweils auf den beiden Achsen an einem be- stimmten Ort positioniert haben. Im letzten Übungsschritt tauschen die Be- teiligten die Plätze miteinander, um die Perspektiven der jeweils anderen Perso- i Über die Autor:innen Frederik Efferenn ist Leiter der Wissen- schaftskommunikation und Daniel Poth­ mann Projektmitarbeiter im Bereich Wis- senstransfer am Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG). Der Text entstand in Zusammenarbeit mit den Entwicklerinnen des Werkzeugkastens Johanna Wallenborn (Assoziierte For- scherin am HIIG) und Philine Janus (Re- dakteurin bei Kooperative Berlin). Der Lern-Werkzeugkasten „Making Sense of the Future“ basiert auf Methoden der Zukunftsforschung. Anhand der Übungen beschäftigen sich Schüler:innen mit unterschiedlichen digitalen Zukünften. nen einzunehmen und nachzu- vollziehen. Was stimmt meine Mitschüler:innen optimistisch bzw. pessimistisch? Was braucht es, da- mit sie ihre Meinung ändern? Warum glauben sie, dass ihre Handlungs­ fähigkeit in der digitalen Welt gering bzw. hoch ist? Nach Philine Janus und Johanna Wallenborn, den beiden Entwicklerin- nen von „Making Sense of the Future“, hilft die Übung den Schüler:innen da- bei, anhand der grundlegenden Frage „Wo stehst du?” zu digitalen Visio­ när:innen zu werden. „Auch die ande- ren Übungen leiten dazu an, (digitalen) Zukünften offen zu begegnen, eine ak- tive Rolle einzunehmen und mit neuen Ideen Gestaltungsräume für unsere Ge- sellschaft zu eröffnen“, ergänzen Janus und Wallenborn. Umdeuten statt Umbauen Ohnehin überfüllte Lehrpläne erleichtern die Integration neuer Methoden und Inhal- te kaum und bieten eine klare Hürde in der Zukunftsorientierung des Stoffs. Zukunfts- kompetenz ist jedoch nicht ein zusätzlicher, isolierter Lehrinhalt, sondern eine in der Fort- entwicklung des Unterrichts essenzielle Fä- higkeit, die Schüler:innen fächerübergreifend anwenden können. Das lässt sich sowohl in naheliegenden Fä- chern wie zum Beispiel Politik und Wirtschaft integrieren. Aber auch in der Mathematik, wo Statistik helfen kann, die Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz zu verstehen. Eben- Bei dieser Übung positionieren sich die Schüler:innen gemäß ihrer Meinung im Klassen- raum so gibt es beispielsweise Anwendungs- möglichkeiten für den Geschichtsunterricht wo die Bedeutung von Demokratie, Daten- schutz und Gleichberechtigung in den Kon- text digitalen Zusammenlebens gerückt werden kann. Somit sind die Übungen ne- ben einer sinnvollen Denksportaufgabe für den Unterricht auch ein praktischer Test für die zumeist noch ausbleibende und wichti- ge Beschäftigung mit Inhalten zur Digitalisie- rung in der Schule. bildung SPEZIAL 1| 2023 25

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