Digitale Kompetenz – quo vadis? Es entsteht: Ein Anforderungskatalog für das 21. Jahrhundert E s gibt Stimmen, die sagen, es gäbe kei - ne „digitale Kompetenz“. Das ist Aus - legungssache und hängt wesentlich vom Kompetenzbegriff ab, der im Mainstream zwischenzeitlich ausufernde Interpreta - tionen erfährt. Im Wochentakt erfinden unterschiedlichste Menschen neue „Kom - petenzen“, denen andere Menschen (auch noch) genügen sollen, um durch die Welt von heute anständig navigieren zu können. Dabei setzt der dort angewendete Kompe - tenzbegriff auf der gängigen Definition von Weinert aus dem Jahre 2001 auf: Kompe - tenzen bezeichnen demnach „die bei Indivi - duen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die da - mit verbundenen motivationalen, volitiona - len und sozialen Bereitschaften, damit die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll genutzt werden können.“ 1 Im so verstandenen Sinne ergibt eine „di - gitale Kompetenz“ tatsächlich wenig Sinn, weil darunter ein ganzer Strauß an Fähigkei - ten und Fertigkeiten gemeint sein muss, um sich in der digitalen Transformation zeitge - mäß bewegen zu können. Und selbst wenn jemand all diese gewünschten Facetten indi - viduell mitbringt, nützt es wenig, wenn sich diese Person in einem soziokulturellen Um - feld wie z. B. einer Firma bewegen muss, die es nicht zulässt, dass man seine „digi - tale Kompetenz“ so einsetzt, dass das Pro - blem gelöst werden kann. Sie nützt auch nichts, wenn gar keine geeigneten Rahmen - bedingungen vorliegen, sei es, dass die Aus - stattung fehlt oder rechtliche Hürden es „verunmöglichen“. Insofern halte ich es eher mit Müller-Rück - witt, die als „Kompetenz“ (im Singular!) das Zusammenspiel all jener individuellen Fä - higkeiten und Fertigkeiten kennzeichnet, wie Weinert sie oben beschrieb. 2 Und ich er - gänzte in meiner Dissertation diesen Kom - petenzbegriff um die soziokulturelle und sozioinfrastrukturelle Ebene, weil nur alle drei Ebenen gemeinsam es ermöglichen, ak - tuelle Problemfelder tatsächlich kompetent angehen zu können. 3 Darauf aufsetzend entwickelte sich unse - re zivilgesellschaftliche Forschung an der Schnittstelle von moderner Arbeits- und Bil - dungswelt unter dem Dach vom „FROLLEIN - FLOW – Institut für kreative Flaneure“ sehr praxisnah weiter und ich durfte unsere Sicht der Dinge auch in bildungspolitische Kreise tragen. Abbildung 1: Zusammenspiel verschiedener Kompetenzebenen Die Politik muss vorangehen Vor diesem Hintergrund gewannen wir 2018 den Auftrag eines deutschen Bundeslandes, einen Entwurf für ein digitales Leitbild für das Jahr 2025 zu erstellen, da ab dann die schriftliche Kommunikation mit Behörden und anderen öffentlichen Stellen meist auf elektronischem Wege erfolgen solle. Dazu brauche es eine Strategie mit Maßnahmen und Angeboten, damit Bürger*innen die Teil - habe an den Vorteilen des digitalen Zeitalters ermöglicht würde. Der Umgang mit digitalen Medien solle zukünftig so selbstverständlich sein wie vormals das Telefonieren und das Öffnen und Schreiben von Briefen. Hintergrund ist das Onlinezugangsgesetz von 2017, das Bund und Länder verpflichtet, bis spätestens 2022 ihre Verwaltungsleis - tungen auch elektronisch über Verwaltungs - portale anzubieten. Dies ist für Deutschland ein mutiger Schritt, galt dochbis 2016 in Ver - waltungskreisen die Maxime, angesichts der schlecht ausgeprägten digitalen Kompetenz in der Bevölkerung sei es nicht möglich, die Verwaltungsdienstleistungen ausschließlich digital anzubieten. Ich plädierte schon da - mals in politischen Kreisen für einen komple - xeren Kompetenzbegriff, der sich nicht nur entlang des pädagogisch ausgeprägten Pro - fils von Individuen orientiert, sondern ein klu - ges Zusammenspiel von infrastrukturellen Voraussetzungen, soziokultureller Öffnung und individueller Fähigkeiten etc. bedarf. Und das bedeutet, auf der durchaus in An - sätzen vorhandenen, über die sozialen Netz - werke und Gaming selbstständig aufgebauten, digitalen Kompetenz der individuellen Ebene aufzusetzen. Es braucht auf politischer Seite mehr Vertrauen in die Selbstwirksamkeit der Zivilgesellschaft, wie z. B. auch in das informel - le Peer-to-peer-Learning, das alle zwischenzeit - lich praktizieren, sofern sie sich in den sozialen Medien bewegen und über einen digitalen An - schluss verfügen (niemand hat einen Kurs absolviert, um sich in die gängige WhatsApp- oder Facebook-Nutzung einzugrooven). 6 bildung+ schule digital 2 | 2021 © eigene Abbildung
Download PDF file