Schule Digital i Schatten und Licht 59 Prozent der im Auftrag des Ifo Instituts befragten Eltern meinen, dass ihr Kind während der Schulschließungen „viel weniger“ als sonst gelernt hat. Verwunderlich ist das nicht: Es fehlen nicht nur die Erklärungen der Lehrkräfte und der fürs Lernen wichtige Austausch mit Klassen- kameradinnen und -kameraden. Die Kinder und Jugendlichen verbrachten im coronabedingten Lockdown Anfang 2021 im Durchschnitt nur 4,3 Stunden pro Tag mit schulischen Tätigkeiten – das sind drei Stunden weniger als an einem normalen Präsenzschultag. 23 Prozent der Kin- der beschäftigten sich maximal zwei Stunden am Tag mit der Schule, 9 Prozent sogar nur ei- ne Stunde. Die Eltern sehen jedoch auch positive Effekte: So meinen zwei Drittel, dass ihr Kind durch die Schulschließungen mit digitalen Technologien besser umgehen kann. 56 Prozent glauben, dass ihr Kind gelernt hat, eigenständig Unterrichtsstoff zu erarbeiten. Für die Studie des Ifo Instituts wurden 2.122 Eltern während des zweiten Schullockdowns zwi- schen dem 17. Februar und dem 10. März 2021 mithilfe eines Online-Fragebogens befragt. ve Angebote oder aber für Hausaufgaben betreuung oder individuelle Förderung zur Verfügung. „Diese Aufgaben müssen nicht unbedingt Lehrkräfte übernehmen. Dadurch könnte man auch in vielen anderen Berei chen Kompetenzen und Interessen fördern, was im normalen Stundenplan nach Schema F nicht möglich ist.“ Erich Kästner Schule Hamburg „Es darf keine unreflektierte Rückkehr zum Regelbetrieb geben“, forderte Rebecca Lembcke, Lehrerin für Englisch, Deutsch, Ge sellschaftswissenschaften und Medien an der Erich Kästner Schule Hamburg, in dieser Zeitschrift schon vor einem Jahr. „Wir müs sen aus den Erfahrungen und Entwicklungen lernen.“ Viele ihrer Schülerinnen und Schüler erbrach ten schon im ersten Lockdown teils besse re Leistungen als im Regelunterricht, obwohl auch ihnen fürs Homeschooling oft aus schließlich ein Smartphone zur Verfügung stand. Seither hat sich die technische Aus stattung der Schule ein wenig verbessert. „Wir haben rund 90 iPads und Laptops da zubekommen und an Kinder und Jugendli che ohne eigenen Computer verliehen.“ Vor dem Lockdown in diesem Frühjahr ent schied und erarbeitete jede Lehrkraft an der EKS zunächst individuell, welche Lern begleitung für ihre Lerngruppe am passends ten war. Für die Schülerinnen und Schüler von Rebecca Lembcke waren ein bis zwei tägliche Videokonferenzen in Kleingruppen verpflichtend; Lehrerin, Schülerinnen und Schüler standen ständig per Chat und Tele fon in Kontakt. Zudem erhielten die Kinder und Jugendlichen differenzierte Wochen- und beispielhafte tägliche Arbeitspläne. Selbstständiges Arbeiten nach Arbeitsplä nen kennen die Kinder und Jugendlichen aus der Lernzeit, die es an der Erich Kästner Schule in den Hauptfächern gibt: Sie bekom men Unterrichtsmaterialien mit unterschied lich anspruchsvollen Aufgaben, die sie im eigenen Arbeitstempo bearbeiten. Auch bei der Auswahl der Aufgaben können sie indi viduelle Schwerpunkte setzen. Dass sie im Homeschooling auch die Arbeitszeit weitge hend selbst bestimmen konnten, schätzten viele Schülerinnen und Schüler aus Rebecca Lembckes Klasse sehr. Hybridunterricht als Chance „Mit dem Distanzunterricht kamen diejeni gen Kinder und Jugendlichen gut zurecht, die motiviert sind, ihre Zeit gut einteilen und die sich selbst gut einschätzen können“, sagt Rebecca Lembcke. Profitiert haben auch manche, die sich im normalen Unterricht leicht ablenken lassen: „Einige haben aus purer Langweile gelernt, weil die üblichen Freizeita ktivitäten nicht stattfanden.“ Das fürs Lernen so wichtige Leseverständnis hat sich bei vielen ihrer Schülerinnen und Schüler verbessert, weil während des Dis tanzunterrichts Informationen oft schriftlich weitergegeben wurden. Und dass die Kin der und Jugendlichen den Wert von Schule, Freundschaft und gemeinsamer Zeit (wie der) schätzen gelernt haben, hält Rebecca Lembcke für eine ganz wichtige Erfahrung. Die großen Verliererinnen und Verlierer sind ihrer Meinung nach z. B. die Kinder und Ju gendlichen, die Probleme mit dem Lesen haben – die nicht in der Lage sind, Texte selbstständig zu erarbeiten, und viel Hilfe brauchen: Grundschulkinder, die noch nicht lesen können, ebenso wie leistungsschwa che Schülerinnen und Schüler oder Kinder und Jugendliche, deren Deutschkenntnisse noch nicht ausreichen. Um diese Nachteile auszugleichen, kamen viele jüngere Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf in die Not betreuung – und profitierten davon, dass die Gruppen während des Lockdowns kleiner waren als die normalen Klassen. Den Hybridunterricht mit halbierten Lern gruppen, der in manchen Jahrgängen ab März 2021 möglich war, empfand Rebecca Lembcke wie viele Kolleginnen und Kolle gen als „sehr bereichernd: Alle Schülerinnen und Schüler haben davon profitiert. Die Intro vertierten, die sich sonst nie zu Wort mel den, haben sich eingebracht. Die Starken konnten besser gefordert werden, die Lern schwachen konnten sich nicht unbemerkt wegducken. Und einige Schülerinnen und Schüler aus meiner Klasse haben nicht zu letzt deshalb noch die Empfehlung für die Oberstufe geschafft.“ Freiräume für Schulentwicklung Darüber, dass die Arbeitsbelastung durch Distanz-, Hybridunterricht und zusätzliche Aufgaben deutlich höher war als in norma len Zeiten, sind sich die Lehrkräfte einig – und so fehlte bislang die Zeit, die Erfah rungen auszuwerten und die Schulentwick lung voranzutreiben. Bei der Digitalisierung wurden Schulen oft al lein gelassen. Damit, Geräte zu kaufen und Systeme zu installieren, ist es nämlich nicht getan. Die digitalen Medien und Techniken müssen pädagogisch sinnvoll in den Schul alltag integriert, neue digitale Lernkonzepte erarbeitet werden. Das geschieht bislang oft „nebenbei“ und gelingt nur, wenn Lehrkräfte sich in ihrer Freizeit engagieren und über das nötige di gitale Know-how verfügen. Um die Erfahrun gen aus der Coronazeit und die Chancen, die die Digitalisierung bietet, zu nutzen, brauchen Schulen Zeit und Freiräume bei der Gestaltung, aber auch Beratung, Fort bildung und Unterstützung, zum Beispiel durch externe Administratoren. Eva Walitzek 40 bildung SPEZIAL 2| 2021
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