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zeiten und spricht sich gegen eigene digitale Geräte für Kinder aus. Laut dem „2023 Global Education Monitor“ der UNESCO verbieten immer mehr Länder private digitale Endgeräte im Unterricht. Zu groß ist das Ablenkungspotenzial und die Störungen im Unterricht sowie für die direkte Kommunikation untereinander. In Frankreich gilt seit 2010 ein Handyverbot im Unterricht, das 2018 auf internetfähige Geräte ausgewei- tet wurde. In den Niederlanden sind ab dem kommenden Jahr Handys in der Klasse ver- boten. Dagegen plant Bayern, in den nächsten fünf Jahren rund 1,6 Millionen Schüler:innen mit Tablets auszustatten. Baden-Württem- berg will per Gesetzesänderung Schulen zum Einsatz digitaler Geräte im Unterricht verpflichten. Wenn KI Lehrkräfte ersetzen soll Das Meinungsbild, das die Wissen­schaft­ ler:innen des ifo-Instituts mithilfe des Bil- dungsbarometers erstellt haben und in dem ein immer größerer Teil der Bevölkerung die Auswirkungen der Digitalisierung in der Bil- dung kritisch sieht, fällt in eine Zeit, in der kontrovers über die Chancen und Risiken der Künstlichen Intelligenz (KI) debattiert wird. Die Wissenschaftler:innen, die das Moratori- um fordern, sehen vor allem die Gefahr, dass KI fehlende Lehrkräfte ersetzen soll, indem Schüler:innen zum Beispiel automatisiert ge- testet werden. Sie verweisen auf den Deut- schen Ethikrat, der in seinen Empfehlungen schreibt, dass eine voll­ständige Ersetzung von Lehrkräften durch KI dem Verständnis nung der 42 Wissenschaftler:innen nicht da- zu geführt, dass das Bildungsniveau in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland ge- stiegen sei, wie internationale Vergleichsstu- dien immer wieder belegten. Zudem habe sich das Versprechen des leichteren Zugangs zu Bildung durch digita- le Angebote nicht bewahrheitet. „Die digitale Kluft und die Ungleichheit bereits beim Zu- gang zu Bildungsangeboten vertiefen sich weltweit und sind mit dem familiären und sozialen Umfeld assoziiert“, schreiben die Wissenschaftler:innen in ihrer Erklärung zum Moratorium. Sie fordern ein interdisziplinär und multipers- pektivisch besetztes Gremium, in dem neben Schul-Praktiker:innen und Theoretiker:innenn aus der Allgemeinen Pädagogik und (Fach) Didaktik auch Wissenschaftler:innen aus der Ethik und (Lern-)Psychologie, der Pädiatrie, der Medienpädagogik und der hersteller- neutralen und datenschutzkonformen Digi- taltechnik vertreten sind. Das Gremium soll ergebnisoffen und nicht technikdeterminiert über die Voraussetzungen gelingender Bil- dungsprozesse diskutieren und Vorschläge für „humane und demokratieförderliche Er- ziehungs- und Schulstrukturen“ entwickeln. Vollbremsung für die Digitalisierung in der Bildung? Die schwedische Regierung hat die Verpflichtung einkassiert, digitale Medien bereits im Vorschulalter zu verwenden Der UNESCO-Monitor kritisiert vor allem, dass digitale Medien nicht aus pädagogi- schen, sondern vielmehr aus wirtschaftlichen Gründen im Unterricht eingesetzt werden. Be- lastbare Belege für den Mehrwert digitaler Medien gäbe es laut UNESCO nur in gerin- gem Maße. Der Großteil solcher vermeintli- chen Belege stamme von denen, die digitale Endgeräte oder IT-Lösungen verkaufen. von Bildung zuwiderlaufe und auch nicht da- durch zu rechtfertigen sei, dass schon heute in bestimmten Bereichen ein akuter Personal- mangel und eine schlechte (Aus-)Bildungs­ situation herrschen. Kurz gesagt: Technik anstelle von qualifizier- ten Unterricht ist keine Lösung. Die steigen- den Ausgaben für IT und digitale Medien für deren Einsatz im Unterricht hätten nach Mei- Foto: stock.adobe.com, Adriana Die Forderung der 42 Wissenschaftler:innen klingt wie eine Vollbremsung für die Digita- lisierung in Kitas und Schulen. Das wäre sie auch, wenn Schulen in einem hohen Tem- po digitalisiert würden. Die Coronapandemie hat zunächst offenbart, wie wenig deutsche Schulen digitalisiert sind. Seit 2019 gibt es den Digitalpakt Schule. Es dauerte aber vier Jahre, bis 90 Prozent der Fördergelder ver- plant sind. Laut einer Umfrage der IU In- ternationale Hochschule aus Erfurt unter 683 Lehrkräften und Schulleiter:innen ga- ben 43 Prozent an, digitale Medien nur spo- radisch im Unterricht zu nutzen. Sicherlich hat das Digitalisierungstempo in den vergangenen Jahren zugenommen, aber Deutschland kommt von einem niedrigen Ni- veau. Bürokratie und fehlendes Know-how bei Schulleitungen und Lehrkräften bremsen die Digitalisierung aus – zum Glück aus Sicht der 42 Wissenschaftler:innen, die das Moratori- um fordern, welches sicherlich seine Berech- tigung hat, damit die Digitalisierung nicht um ihrer selbst willen an Schulen vonstattengeht. 10 bildung SPEZIAL 1| 2024

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digitalisierung Doch letztendlich gilt für den Einsatz digitaler Medien und IT im Bildungssektor das Gleiche wie überall sonst auch: Technik ist nicht per se gut oder schlecht, es kommt auf die An- wendung bzw. die Anwender:innen an. Die will die Politik unterstützen, um der Chan- cenungleichheit in der Bildung entgegenzu- wirken. Zu einigen dieser Maßnahmen hat das ifo-Institut ebenfalls die Menschen be- fragt. Laut der Umfrage halten 69 Prozent zum Beispiel das sogenannte „Chancen­ budget“ für eine gute Idee. Damit sollen Schu- len mit vergleichsweise vielen Schüler:innen aus schwierigen sozioökonomischen Ver- hältnissen in die Lage versetzt werden, inno- vative Projekte für mehr Chancengleichheit zu finanzieren. Knapp zwei Drittel der Deut- schen sprechen sich auch für die Nutzung von Soziali­ndizes aus, die von einigen Bundes- ländern angewendet werden. Mithilfe eines Sozialindex lässt sich ermitteln, inwiefern ei- ne Schule aufgrund des sozioökonomischen Umfelds ihrer Schüler:innen vor besonderen Herausforderungen steht. Im Vergleich zur vorherigen Befragung aus dem Jahr 2016 ist insbesondere die Unter- stützung für Gehaltszuschläge gestiegen, die Lehrer:innen an Schulen erhalten sollen, die wegen der Vielzahl an Schüler:innen aus schwierigen Verhältnissen Probleme haben, Lehrkräfte für sich zu gewinnen. Während das Meinungsbild 2016 eher geteilt war, 43 Pro- zent der Deutschen befürworteten Gehalts- zuschläge und 39 Prozent waren dagegen, sprechen sich heute mehr als die Hälfte der Deutschen (55 Prozent) dafür aus, solchen Lehrkräften das Gehalt aufzubessern, die vie- le Schüler:innen aus schwierigen Verhältnis- sen unterrichten. Mehrheit der Deutschen will Bildungsausgaben erhöhen Wenn es jedoch um die Finanzierung solcher Schulen geht, die aufgrund des sozioökono- mischen Umfelds ihrer Schüler:innen vor besonderen Herausforderungen stehen, spre- chen sich die Deutschen eher dafür aus, alle Schulen gleichmäßig zu unterstützen. Laut ifo-Umfrage sind 60 Prozent dafür, zusätz- liche staatliche Ausgaben auf alle Schulen zu verteilen. Nur 40 Prozent sind der Mei- nung, man müsse mit zusätzlichen Ausga- ben ganz gezielt Schulen unterstützen, auf die viele Schüler:innen aus schwierigen Ver- hältnissen gehen. Die Wissenschaftler:innen deuten dieses Ergebnis als Beleg dafür, dass sich die Deutschen grundsätzlich höhere Aus- gaben für die Bildung wünschen, von denen alle Schüler:innen profitieren sollen. Wenn die Warnungen aus den Reihen der Wis- senschaft und Forschung vor einer fehlge- leiteten Digitalisierung in der Bildung dazu führen, das Bildungsniveau in Deutschland zu erhöhen, könnten die Ergebnisse zukünftiger Befragungen wieder ein positiveres Bild auf die Digitalisierung im Bildungssektor werfen. Marc Hankmann Anzeige bildung SPEZIAL 1| 2024 11

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