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schule + natur Naturnaher Schulhof Natur schützen und Artenkenntnis fördern Die Vielfalt der Arten und Lebensräume in Deutschland nimmt ab. Insbesondere bei Arten, die auf Feldern und Wiesen zu Hause sind, gehen die Bestände kontinuierlich zurück. Dies betrifft v. a. Vögel und Insekten. Als artenreichste Gruppe aller Lebewesen stellen Insekten mehr als 70 Prozent aller Tierarten weltweit und sind daher ein wesentlicher Bestandteil der biologischen Vielfalt. Ihr Rückgang kann als Anzeiger für den Zustand der Biodiversität insgesamt gelten. Insektensterben im Fokus Ein Rückgang der Insekten ist also eine be- unruhigende Tatsache. Viele Jahre lang wur- de das Insektensterben jedoch nur von der Fachwelt registriert. Erst 2017, nach Veröf- fentlichung einer Studie des Entomologischen Vereins Krefeld, rückte es in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Der Verein hatte über einen Zeitraum von 27 Jahren an mehr als 60 Stand- orten die Anzahl der Fluginsekten ermittelt. Das Ergebnis: Die Masse der fliegenden In- sekten ist in dieser Zeit um 76,7 Prozent zu- rückgegangen. Der Zustand der Artenvielfalt und insbe- sondere der Rückgang der Insekten wird heu- te von vielen Menschen wahrgenommen und als bedenklich eingestuft. Das geht aus der re- präsentativen Naturbewusstseinsstudie her- vor (BfN/BMUV 2021). Seit 2019 werden auch Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren be- fragt. In dieser Altersgruppe ist das Interesse an der biologischen Vielfalt ebenfalls groß. Natur schützen und Artenkenntnis fördern Zugleich wünschen sich rund 60 Prozent der Jugendlichen, mehr Arten zu kennen und be- stimmen zu können. Tatsächlich wird fehlen- de Artenkenntnis zunehmend zum Problem für den Naturschutz, denn um Natur wirk- sam zu schützen, braucht es Menschen, die Arten identifizieren und ökologische Zusam- menhänge erkennen können. Beides – Natur schützen und Artenkenntnis fördern – kann in der Schule Hand in Hand gehen. Insektenfreundliche Grundschule Artenkenntnis setzt Naturerfahrung(en) vo- raus und dies möglichst von klein auf. Je jünger die Kinder, desto bedeutsamer ist die unmittelbare Begegnung mit der Natur und ihren Lebewesen. Intensive Naturerlebnis- se mit allen Sinnen fördern den achtsamen Umgang mit der Natur, wecken Neugier und tragen letztlich zum Verständnis der ökolo- gischen Zusammenhänge bei. Dazu braucht es zunächst vor allem Gelegenheiten zum Beobacht­en und Wiedererkennen. Um solche Gelegenheiten zur Natur­ beobachtung auf dem Schulhof zu schaf- fen, ist zum Glück weder ein Förderprogramm noch ein eigens vom Schulträger geplanter Umbau des Schulhofs notwendig. Ganz oh- ne Papierkram lassen sich einzelne Bereiche des Schulhofs so gestalten, dass sich Insek- ten dort wohlfühlen und zugleich ein Raum für Naturbeobachtungen entsteht. Zusam- men mit den Kindern können Lebensräume für Schmetterlinge, Wildbienen, Käfer und Co. geschaffen werden. Raum für Naturbeobachtung und gemeinsames Lernen: Elemente des Naturgartens auf dem Schulhof helfen der Natur und fördern die Artenkenntnis. Naturgarten auf dem Schulhof Schulhöfe sind v. a. zum Spielen und Toben da. Deshalb kommt es darauf an, gemein- sam diejenigen Plätze ausfindig zu machen, die Kinder weniger nutzen. Robuste heimi- sche Wildstauden für halbschattige Plätze 8 bildung+ lernen | 2024 © stock.adobe.com, Nina Lawrenson/peopleimages.com

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schule + natur © stock.adobe.com, zhukovvvlad können z. B. kahle Baumscheiben rund um die Schulhofbäume bereichern oder vor He- cken und Gebüschen für bunte Vielfalt sor- gen. Samen von heimischen Wildblumen ge- hen auch in Kästen und Hochbeeten auf, die entlang von Zäunen und Mauern einfach auf Asphalt und Pflaster gestellt werden. Geeig- nete Samen gibt es in immer mehr Garten- märkten. Auch das Sortiment an heimischen Wildstauden wird dort immer größer. Noch leichter ist die naturnahe Gestal- tung, wenn es auf dem Schulhof unversie- gelte Flächen gibt, die von den Kindern wenig frequentiert werden. Solch eine Fläche kann man auch sich selbst überlassen und ein- fach beobachten, was passiert. Vieles, was wir normalerweise als Unkraut bezeichnen, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als wertvoller Lebensraum für Insekten. Brenn­ nesseln z. B. sind Futterpflanzen für die Rau - pen von 35 Schmetterlingsarten. Wiesenklee, Löwenzahn, Giersch und Gänseblümchen bie- ten Insekten Pollen und Nektar. Kommen dann noch selbst gebaute Nisthilfen für Insekten hinzu und ein selbst aufgeschichteter Stapel mit Grünschnitt und Totholz von der vergang- nenen Pflegemaßnahme, ist das Insekten­ paradies nahezu komplett. In naturnahen Gärten lassen sich nicht nur Insekten beobachten. Gemeinsamer Lernprozess für alle Beteiligten Was tun, wenn es mit der eigenen Artenkennt- nis nicht gut bestellt ist? Um insektenkun- i Bedeutung von Insekten Insekten erfüllen in der Natur eine Vielzahl von Aufgaben, von denen auch wir Men- schen profitieren. So tragen etwa Kirsch- und Apfelbäume, Erdbeer- und Zucchini- pflanzen nur dann ausreichend Früchte, wenn sie von Insekten bestäubt wurden. Ebenso wichtig ist die Bestäuberleistung für Wildpflanzen. Insekten sorgen damit für den Fortbestand unserer heimischen Pflanzenvielfalt, die wiederum Nahrung und Unterschlupf für Wildtiere bietet. In- sekten reinigen unser Trinkwasser und helfen dabei, abgestorbene Pflanzen und tote Tiere zu verwerten und die Nährstoffe den Ökosystemen wieder zur Verfügung zu stellen. Und nicht zuletzt dienen sie zahlreichen anderen Arten als Nahrung. dig zu werden, ist die regelmäßige Natur­ beobachtung das Mittel der Wahl, egal ob als Kind oder erst im Erwachsenenalter. Natur­ nahe Elemente auf dem Schulhof sind da- her eine wunderbare Gelegenheit für einen gemeinsamen Lernprozess. Die Natur über- nimmt die Rolle der Lehrkraft und alle, die sie beobachten, werden zu ihren Schüler:innen. Noten gibt sie keine, nur Erkenntnisgewinn. Ein entspannender Gedanke, oder? Sixta Görtz Redakteurin www.naturdetektive.de Literatur Hallmann CA. et al. (2017): More than 75 percent dec­ line over 27 years in total flying insect biomass in protec- ted areas. PLoS ONE 12(10): e0185809. https://doi. org/10.1371/journal.pone.0185809 Bundesamt für Naturschutz, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Ver- braucherschutz (BfN/BMUV), Hrsg. (2023): Natur- bewusstseinsstudie 2021. Berlin. https://www.bfn. de/sites/default/files/2023-03/2023-naturbewusst sein-2021-bfn.pdf Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.) (2023): Jugend-Na- turbewusstsein 2021. Wissenschaftlicher Vertiefungs- bericht. Bonn. https://www.bfn.de/sites/default/ files/2023-04/2023-wissenschaftlicher-vertiefungs bericht-jugend-naturbewusstsein-2021-bfn.pdf i Medien-Tipp: Naturdetektive Alles über Insekten, ihre Bedeutung in der Natur und darüber, wovon sie bedroht sind, erfahren Kinder im Themenspezial „In- sekten“ auf der Kinder-Webseite des Bun- desamts für Naturschutz (BfN) unter der URL www.naturdetektive.de. Neben der Podcastr­eihe „10 Dinge über …“ finden Lehrpersonen im Lexikon auch Pflanz- tipps für Wildstaudenbeete und Bauan- leitungen für Insektennisthilfen. bildung+ lernen | 2024 9

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